Workshop “Public Sphere, Private Sphere and Plurality in the Digital Age”

5./6. Juli 2018

Institut für Philosophie, Besprechungsraum Landwehrstraße 54

TU Darmstadt

Alle sind herzlich willkommen, keine Anmeldung notwendig!

Was bedeuten Öffentlichkeit und Erscheinungsraum im Kontext gegenwärtiger technischer Wirklichkeiten und Möglichkeiten? Wie formt sich diese „Bühne der Welt“ angesichts sozialer Medien wie Facebook, Twitter, YouTube & Co. und deren fortschreitender Ökonomisierung? Wie verändert sich dadurch die Architektur des politischen und öffentlichen Raums (den Handelnde, Zuschauende und Urteilende konstituieren), aber auch des privaten Raums? Und was bedeutet dies in Bezug auf ein Voreinander-Erscheinen und ein Vertrauen in diese Räume? Was bedeutet es für ein „Wer im Wir“ und für die Möglichkeiten der pluralen Artikulation von Perspektiven?
Was bedeutet es schließlich für Lüge und Wahrheit in der Politik und dafür, dass Wirklichkeit sich nur mit anderen konstituieren kann, wie Hannah Arendt in guter Husserl’scher Manier behauptet — aber genauso Gegenwirklichkeiten in Blasen und „echo chambers“ erzeugt werden können? Was heißt es hier noch, eine „Welt“ zu teilen? Und wie können wir „Sorge um die Welt“ (Arendt) unter diesen Bedingungen tragen?

Die philosophischen Debatten der letzten Jahre lassen eine deutliche Sorge um das „Wir“ und das „Wer im Wir“ erkennen. Dabei sind nicht nur konstitutionstheoretische und sozialontologische Fragstellungen relevant, sondern ebenso politische, ethische, normative Dimensionen. Der Workshop möchte diese theoretischen Ansätze interdisziplinär diskutieren und mit technikphilosophischen und medientheoretischen Forschungen zusammenbringen, die sich mit den veränderten Bedingungen und neuen Anforderungen des digitalen Zeitalters auseinandersetzen. Fragen nach Öffentlichkeit und Privatheit, Wirklichkeit und Virtualität, Interaktion, Identität und Authentizität, Leiblichkeit und Emotionalität, Selbst-, Fremd- und Wir-erfahrung stellen sich in diesen Zusammenhängen neu.

Dabei soll es auch um methodische Herausforderungen gehen: Mit welchen Analyseinstrumenten beschreiben wir diese Räume, wo sich Erfahrungen und Interaktionen innerhalb von Strukturen, Subprozessen und globalen Dimensionen vollziehen, die sich der Erfahrbarkeit entziehen? Welche Konsequenzen hat dies für unseren theoretischen und normativen Zugriff? Und wie können wir diesbezüglich fruchtbar phänomenologische, diskurstheoretische, systemtheoretische, (post-) strukturalistische, kritisch-theoretische, analytische, feministische, etc. Methoden zusammenbringen?

Der Workshop findet am 5. und 6. Juli 2018 im Besprechungszimmer des philosophischen Instituts der TU Darmstadt statt (Landwehrstraße 54, 1. Stock). Beiträge ca. 30 min, Diskussion 20 min.

Organisation: Sophie Loidolt

Die Veranstaltung steht in Kooperation mit der thematisch verwandten Tagung „Transparenz, Öffentlichkeit, Urteilskraft“ (08.-11.11.2018) des Hannah Arendt Archivs an der Universität Oldenburg.

https://www.uni-oldenburg.de/philosophie/forschung/forschungsstelle-hannah-arendt-zentrum/aktuelles/

Vortragende:

Nils Baratella (Institut für Philosophie, Hannah Arendt-Archiv, Universität Oldenburg)

Yvonne Förster (Kulturwissenschaftliches Kolleg Konstanz, Leuphana Universität Lüneburg)

Thilo Hagendorff (Internationales Zentrum für Ethik in den Wissenschaften, Universität Tübingen)

Steffen Herrmann (Institut für Philosophie, Fernuniversität Hagen)

Tobias Holischka (Institut für Philosophie, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt)

Stefan Katzenbeisser (Security Engineering Group, FB Informatik, TU Darmstadt)

Sophie Loidolt (Institut für Philosophie, TU Darmstadt)

Tobias Matzner (Institut für Medienwissenschaften, Universität Paderborn)

Julia Maria Mönig (Hochschule der Medien Stuttgart)

Ahmad-Reza Sadeghi (System Security Lab, FB Informatik, TU Darmstadt)

Gerhard Thonhauser (Institut für Philosophie, FU Berlin)

Maren Wehrle (Institut für Philosophie, Erasmus Universität Rotterdam)

Programm

(Kleinere Änderungen und Umstellungen vorbehalten!)

TAG 1: Donnerstag 5. Juli

9.30 -10.00

Begrüßung und Einführung

PHÄNOMENOLOGISCH-METHODISCHE ÜBERLEGUNGEN ZU DIGITALITÄT UND VIRTUALITÄT

10.00-11.00

Maren Wehrle: Unmittelbare Vermittlung: Die Vernetzung von Menschen, Daten und Dingen

11.00–12.00

Tobias Holischka: Der virtuelle Ort

12.15-13.15

Sophie Loidolt: Digitale Lebenswelt und Wirklichkeit – Versuch einer phänomenologisch-methodischen Annäherung

13.15-14.30: MITTAGSPAUSE

ÖFFENTLICKEIT, PLURALITÄT UND DAS POLITISCHE

14.45-15.45

Gerhard Thonhauser: Dynamiken kollektiv-affektiver Welterschließung und Herausforderungen der Demokratie

15.45-16.45

Yvonne Förster : Prekäre Pluralitäten: Virtuelle Öffentlichkeit zwischen Utopie und Dystopie

17.00-18.00

Steffen Herrmann: Öffentlichkeit, Macht und Digitalität

TAG 2: Freitag 6. Juli

SUBJEKTIVITÄT UND PRIVATHEIT IM DIGITALEN ZEITALTER

10.00-11.00

Stefan Katzenbeisser: Aktuelle Herausforderungen für den technischen Schutz digitaler Daten

11.00–12.00

Nils Baratella: Die Notwendigkeit der Distanznahme. Zum Phänomen der sprachlichen Gewalt in sozialen Netzwerken

12.15-13.15

Tobias Matzner: Digitalisierte Subjekttheorien und einige Überlegungen zum Wert des Privaten

13.15-14.30: MITTAGSPAUSE

14.30-15.30

Ahmad-Reza Sadeghi: Die dunkle Seite der Digitalisierung

15.30-16.00

Julia Maria Mönig: Privatheit und Konformismus: zu Arendts Aktualität

16.15-17.15

Thilo Hagendorff: Künstliche Intelligenz und Privatheitsrisiken – Reaktionsweisen auf neue Identitätsbedrohungen

Abstracts

PHÄNOMENOLOGISCH-METHODISCHE ÜBERLEGUNGEN ZU DIGITALITÄT UND VIRTUALITÄT

Maren Wehrle

Unmittelbare Vermittlung: Die Vernetzung von Menschen, Daten und Dingen

Ausgehend von Helmuth Plessners anthropologischen Kriterien der natürlichen Künstlichkeit, dem utopischen Standort und der vermittelten Unmittelbarkeit, werde ich versuchen, die zunehmende Vernetzung von Menschen, Daten und Dingen anhand dreier Beispiele – soziale Netzwerke, smart devices/wearables, smart environments (internet of things) – phänomenologisch zu beschreiben. Wie verändern sich unsere Aufmerksamkeit, praktischen Handlungen und Erwartungen? Inwiefern lässt sich das Natürliche vom Künstlichen, das Hier noch vom Dort noch unterscheiden? Arbeitshypothese hierbei ist, dass die Vermittlung im digitalen Zeitalter zur eigentlichen Unmittelbarkeit wird und sich damit selbst auflöst. Dies zeigt sich darin, dass das Private gleichermaßen öffentlich ist, wie das Öffentliche privat. Anstatt einer Pluralisierung der Perspektiven und Meinungen, die mit einer Distanz und Vermittlung einhergeht, besteht die Gefahr einer Zentralisierung und Monopolisierung. Wenn alles bereits im Vorhinein antizipiert ist, unsere Interessen und Identität genauso wie unsere praktischen Ziele und Pläne, wenn wir nicht mehr auf die Dinge und die Umwelt reagieren, sondern diese proaktiv auf uns, führt dies zwangsweise zu einem Fehlen von Responsivität (Waldenfels) und damit auch Verantwortung.

Tobias Holischka

Der virtuelle Ort

Die Informationsgesellschaft pflegt einen selbstverständlichen Umgang mit ihren sich immer weiter entwickelnden technischen Geräten. Die neuen Phänomene der Virtualität sind dabei jedoch weitgehend unreflektiert als Schein oder Unwirklichkeit konnotiert. In der phänomenologischen Analyse zeigt sich, dass insbesondere der virtuelle Ort als versammelndes Prinzip eine Realität schafft, die, ganz im Gegensatz zum abstrakten Konzept des Cyberspace, eine ontologische Verbindung zur menschlichen Lebenswelt herstellt und sie auf diese Weise erweitert. In diesem Kontext stehen die Diskussionen um Leiblichkeit, Öffentlichkeit und Privatheit, sowie Wirklichkeit und Virtualität auf einem neuen und fruchtbaren Boden.

Sophie Loidolt

Digitale Lebenswelt und Wirklichkeit – Versuch einer phänomenologisch-methodischen Annäherung

Wie können wir digitale Lebenswelten beschreiben? Hat die Phänomenologie das Rüstzeug dafür oder stellt sie diese Aufgabe vor prinzipielle Probleme (insofern sie von Originarität, Leiblichkeit, face-to-face Beziehungen etc. ausgeht)?

Dafür muss die erste Frage sein: mit welchen Phänomenen haben wir es überhaupt zu tun?

Wie werden digitale Lebenswelten, im Privaten wie im Öffentlichen, erfahren? Was sind die Brüche und Kontinuitäten zum „sinnhaften Aufbau der sozialen Welt“, so wie ihn z.B. Alfred Schütz beschrieben hat?

Meine These ist, erstes, dass die sich herstellenden sinnhaften und sozialen Kontinuitäten, die sich über das „Interface“ und das „Erscheinen“ in diesen Räumen ergeben, tendenziell die radikale Nicht-Erfahrbarkeit des Digitalen (und die ihm eventuell eingeschriebenen ökonomischen Logiken) verschleiern. Insofern ist Digitalität nicht Virtualität, da Virtualität einen (als-ob) Erfahrungsraum darstellt.

Zweitens kann sich innerhalb dieser Erfahrungsräume, so virtuell sie sein mögen, trotzdem Wirklichkeit konstituieren. Dieser Wirklichkeitsbegriff steht dann nicht mehr im Gegensatz zur „Virtualität“, sondern besteht vielmehr in der wechselseitigen intersubjektiven Versicherung, dieselbe Sache aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Unwirklich wäre im Gegensatz dazu der ins Monströse multiplizierte Einzelaspekt (etwa in sog. echo-chambers), sowie das Dunkel des „bloß Privaten“, das sich seiner selbst nicht auf diese Weise versichern kann. Hier wird die Arendt’sche Konzeption von Öffentlichkeit (und Privatheit) mit ihren normativen Implikationen relevant, ohne an einen Authentizitätsbegriff des Erscheinens geknüpft werden zu müssen. Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie mit der sich im Netz und durch das Netz manifestierenden Verwischung von Privatem und Öffentlichem umzugehen ist.

ÖFFENTLICKEIT. PLURALITÄT UND DAS POLITISCHE

Gerhard Thonhauser

Dynamiken kollektiv-affektiver Welterschließung und Herausforderungen der Demokratie

Chantal Mouffes Kritik am Liberalismus aufgreifend, aber die Engführungen ihrer Alternative vermeidend, möchte ich ein Verständnis kollektiver affektiver Intentionalität vorschlagen, welches die zentrale Rolle von Kollektivität und Affektivität für das Politische hervorhebt. Anhand eines relationalen Verständnisses von Affektivität wird die primäre Welterschließung als kollektive Erfahrungen der Relevanz und des Betroffenseins verstanden. Ein Verständnis sozialer Kollektive als Dynamiken gemeinsamer Affizierung und Weltorientierung öffnet den Blick auf deren ambivalente Rolle: Erfahrungen kollektiver Emotionen fördern einerseits Gruppenidentität und Solidarität, andererseits aber auch soziale Grenzziehungen und Ausschlüsse. Darauf aufbauend stelle ich zwei Fragen: Können Echokammern als Extremformen dieser sozialen Dynamik verstanden werden? Wie können vor diesem Hintergrund homogenisierende Segregationen vermieden und demokratische Aktualisierungen von Pluralität gefördert werden?

Yvonne Förster

Prekäre Pluralitäten: Virtuelle Öffentlichkeit zwischen Utopie und Dystopie

Facebook und Twitter haben sich in den letzten Jahren als durchaus ernstzunehmende Einflussfaktoren politischer Entwicklungen erwiesen. Der arabische Frühling 2011 wurde direkt mit diesen Social Media Plattformen in Verbindung gebracht. Was sich dort positiv ausnahm, kehrte sich mit der Wahl Trumps ins Gegenteil. Fest steht: Social Media konstituiert Öffentlichkeiten und macht Meinungen. Die zugrundeliegenden Prozesse sind jedoch weitgehend automatisiert und durch Algorithmen gesteuert. In meinem Vortrag möchte ich der Digitalisierung und Automatisierung verschiedenster Lebensbereiche Beispiele aus Science-Fiction Filmen und Serien gegenüberstellen. Science-Fiction in Kino und TV ist derzeit ein einflussreicher Faktor für die Wahrnehmung technologisch bedingten Wandels. Mir geht es darum, die Bildebenen dieser Narrative aus phänomenologischer Perspektive zu untersuchen und dabei eine Idee zu geben, wie sich Wahrnehmung durch neue Technologien verändert und an welcher Stelle sich dabei Potenziale oder Risiken für eine demokratiefreundliche Öffentlichkeit ergeben.

Steffen Herrmann

Öffentlichkeit, Macht und Digitalität

Der digitale Strukturwandel wird vielfach als eine Bedrohung für die politische Öffentlichkeit wahrgenommen. Noch weniger als die alten Medien scheinen die neuen Medien nämlich jenem Bildungsauftrag zu gehorchen, der es erlaubt, wohl-informierte und unparteiliche Urteile über politische Sachverhalte zu fällen. Ganz im Gegenteil: Die neuen Medien schaffen Echo-Kammern und Filterblasen, in welchen der ‚Streit um Meinungen‘, den Hannah Arendt als den Kern des öffentlichen Lebens verstanden hat, entweder versiegt oder sich bloßen konfrontativen Gegenüberstellung zuspitzt. Teilt man diese Diagnose einer umfassenden Gefährdung durch den digitalen Wandel in unserer Gegenwart, dann stellt sich die Frage, wie die Öffentlichkeit revitalisiert werden kann. Ich möchte in meinem Vortrag argumentieren, dass Hannah Arendt mit ihrem Plädoyer für eine Räterepublik das Modell einer strukturierten Öffentlichkeit entworfen hat, die nicht nur den oben genannten Gefahren der Digitalisierung entgeht, sondern vielmehr umgekehrt, Digitalisierung für Prozesse der Bildung von Macht- und Gegen-Macht fruchtbar machen kann.

Stefan Katzenbeisser: Aktuelle Herausforderungen für den technischen Schutz digitaler Daten

In unserer digitalen Gesellschaft fallen mehr und mehr personenbezogene Daten an; Daten werden sogar zunehmend als “Öl des 21. Jahrhunderts” angesehen. Häufig besteht jedoch ein Dilemma zwischen dem Nutzen personenbezogener Daten sowie einem potentiellen Schaden, der durch Datenmissbrauch entstehen kann. In dem Vortrag wird anhand einiger Beispiele dieses Dilemma aufgezeigt; zudem werden technische Lösungen besprochen, die das Dilemma auflösen können.

Nils Baratella

Die Notwendigkeit der Distanznahme. Zum Phänomen der sprachlichen Gewalt in sozialen Netzwerken

In den Selbstdarstellungen sozialer Netzwerk-Plattformen wie beispielsweise Facebook ist vielfach die Rede von positiven Formen der Vernetzung, gar von Freundschaft. Die Realität ist hingegen häufig eine andere: Beleidigungen, Beschämungen, sprachliche Gewalt sind hier an der Tagesordnung. Die Öffentlichkeit, die in den sozialen Netzwerken in einer eigenen Form hergestellt wird, ist für den Einzelnen so gut wie nicht kontrollierbar und von besonderen Konflikten geprägt. Deswegen, so die These des Vortrags, müssen sich Subjekte hier in einer distanzierten Form präsentieren: so, wie sie in „den Augen der Anderen“ gesehen werden wollen. Dies hat Helmuth Plessner bereits in den 1920er Jahren als „Recht auf Distanz“ bezeichnet. Auch Hannah Arendt hat u.a. in ihren Überlegungen zur politischen Urteilskraft deutlich gemacht, dass Öffentlichkeit idealerweise so beschaffen sein soll, dass sie das Private als Ort reflexiver Urteilskraft schützt. Notwendig wird dies insbesondere dann, wenn die Öffentlichkeit kein Raum der anerkennenden Begegnung gemeinschaftlich handelnder Subjekte ist, sondern einer der auch von Konkurrenz und Widerstreit geprägt ist.

SUBJEKTIVITÄT UND PRIVATHEIT IM DIGITALEN ZEITALTER

Tobias Matzner

Digitalisierte Subjekttheorien und einige Überlegungen zum Wert des Privaten

Der Vortrag wird sich mit den Subjekttheorien von Hannah Arendt, Linda Martín Alcoff und Judith Butler beschäftigen. Alle drei haben zu einer Kritik des rationalen, autonomen Subjektes beigetragen. Solche Subjektkritiken wiederum haben die kritische Auseinandersetzung mit dem Wert des Privaten informiert. Der Vortrag wird diese Konstellation auf digitale Technologien übertragen. Dazu behandelt er die Frage, wie sich die von den eingangs genannten Autorinnen diskutierten Formen der Alterität darstellen, wenn diese digital vermittelt werden. Dabei muss auch gefragt werden, welche Rolle hier die Subjektivierung durch nicht-menschliche Akteure (Algorithmen) spielt. Im Anschluss werden einige Ausblicke gegeben, was es für den Wert des Privaten bedeutet, wenn Autonomie nicht nur durch Andere, sondern auch durch (digitale) Medialität begrenzt oder bedingt ist.

Julia Maria Mönig

Privatheit und Konformismus: zu Arendts Aktualität

Hannah Arendts Privatheitsbegriff wird zumeist vor dem Hintergrund ihres Werkes “Vita activa” verstanden. Neben diesem lokalen Privatheitsverständnis finden sich in ihren Werken jedoch auch weitere Bestimmungen des Privaten. So etwa der informationellen Dimension des Privaten in ihrer Totalitarismusanalyse und der dezisionalen Dimension im umstrittenen Aufsatz “Little Rock”. Dabei finden sich Zitate von erschreckender Aktualität, wenn wir bedenken, dass es Arendt bei ihrer Forderung nach einem absolut geschützten Bereich des Privaten darum ging, zu verhindern, dass wieder geschehe “was nie hätte geschehen dürfen”. Aktuell sind angesichts von Algorithmen, die unser Leben bestimmen, auch Arendts Warnung von losgelassenen Prozessen, deren Ende niemand mehr absehen kann, ihre Wissenschaftskritik sowie ihre Kritik am Konformismus. Arendts Angst vor einer “Tyrannei der Majorität” in Kindergruppen liefert Denkanstöße zum Thema Cybermobbing.

Thilo Hagendorff

Künstliche Intelligenz und Privatheitsrisiken – Reaktionsweisen auf neue Identitätsbedrohungen

Mit den Methoden des maschinellen Lernens werden derzeit mit konstanter Regelmäßigkeit neue Durchbrüche erzielt. Durch den Einsatz von Lernalgorithmen können Anwendungen entwickelt und eingesetzt werden, um Aufgaben zu lösen, von denen bisher angenommen wurde, dass sie von Computern nicht bewältigt werden können. Wenn hier jedoch Anwendungen involviert sind, welche personenbezogene Informationen oder Verhaltensdaten erheben und verarbeiten, wird dies typischerweise als eine Bedrohung für den Privatheits- und Datenschutz der Betroffenen gesehen. Der Vortrag soll genau diesen Aspekt aufgreifen und Anwendungen insbesondere aus den Bereichen der Persönlichkeitsanalyse und Bilderkennung diskutieren. Es soll infrage gestellt werden, inwiefern der Ansatz, die erwähnten Anwendungen mit dem Verweis auf Privatheitsverletzungen zu kritisieren, überhaupt angemessen ist. Anstatt auf Privatheit zu referieren, um den Risiken des maschinellen Lernens zu begegnen, ist es notwendig, jenseits von Privatheitskonzepten auf die Idee der Diskriminierungsvermeidung zurückzugreifen. Privatheits- und Datenschutz erfordert immer individuelle Informationskontrolle. Durch das maschinelle Lernen jedoch werden die Möglichkeiten der individuellen Informationskontrolle massiv eingeschränkt. Im Vortrag soll dafür argumentiert werden, dass eine wirklich effektive Begegnung der Risiken des Maschinenlernens nur durch den Rückgriff auf Grundsätze der Anti-Diskriminierung erfolgen kann.